Wie der Spillam und der Spillkonrod nach Hachborn kamen - Heimat Hachborn und Ilschhausen

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Wie der Spillam und der Spillkonrod nach Hachborn kamen

Der Spillam
von Helmut G. Müller
Kapilel 1   Am Zoll

Wir sind im Jahr 1818 an der Zollstation zwischen Sichertshausen und Staufenberg. Vor drei Jahren wurde Napoleon endgültig besiegt. Der Wiener Kongress ist zu Ende und versucht die alte Ordnung mit den alten Grenzen der Fürstentümer wiederherzustellen. Vor drei Jahren ist der Vulkan Tambora ausgebrochen und verursacht einen vulkanischen Winter. Auch Hessen versinkt im Klimachaos. Nach einem Jahr ohne Sommer hat es eine große Missernte gegeben. Wer ein Pferd hat, verspeist es, um nicht zu verhungern. Karl Freiherr von Drais hat das Fahrrad erfunden, um auch ohne Pferd schnell von einem Ort zum anderen zu kommen.
Auf dem Wartburgfest treffen sich 500 Studenten und fordern unter den Farben Schwarz, Rot, Gold Freiheits- und Grundrechte für eine einheitliche deutsche Nation. In Aachen tagen die Monarchen, um die demokratische Entwicklung in Europa zu unterdrücken. In Preußen wird durch ein neues Zollgesetz und den Wegfall der inneren Zollgrenzen ein gemeinsamer Wirtschaftsraum geschaffen. Und Zwischen Sichertshausen und Staufenberg sitzt der Chausseegelderheber Gotthardt Lemmer noch ein letztes Mal an seiner Zollstation. Während sein Sohn Hannes noch ein Pferdefuhrwerk abfertigt versucht der Alte auch seinen jüngeren Söhnen das landgräfliche Beamtentum noch schmackhaft zu machen: „Kinder, ich sei jetzt ewer 70. Macht ihr das weirer. De Landgrof bezahlt zwar nit soviel, ower mer sei Zöllner en das es wie in de Bibel. Bei dem eh ower annere kannste ach schon mal was mie nomme, von dem de Landgraf nix erfährt. Alleweil beim große Honger was mal e besscche schlecht mit dem Geschäft, owwer das kimmt wire, hei of de Grenz. Mir hu sogar einen neuen Grenzstein. GH steht auf der einen Seite, Großherzogtum Hessen, das sei die Darmstädter und KH, Kurfürstentum Hessen, das sei die Kasseler und Geld brauchen se allebeide
"Ach Vodder", sagt Adam, "die Leute im Dorf sage: GH, das heest: Große Hunger und KH Kleiner Happen. Die Fürste sei doch all gleich. Die wenn nur das Geld vo de Leu. Do mache ich lieber Musik. Do hu die Leu mie Spass dabei. Komm Konrod mir mache uns auf den Weg nach Hachborn. Da ist Kirmes. Da selln mer spilln. Mir bere, de Spielkonrod und der Spillam".
Sein Bruder Konrod packte schon mal die Geige ein, blickte aber doch etwas skeptisch als wollte er sagen: Na ob wir da viel verdienen weiß ich auch nicht. Sie hatten jedenfalls in den vergangenen drei Jahren kaum Auftritte gehabt. Wegen Regen und Schnee im Sommer, der Hungersnot und dem großen Sterben war fast überall die Kirmes ausgefallen. Die beiden Brüder hatten sich in dieser Zeit mehr recht als schlecht über Wasser halten können. Durch ihre Mithilfe an der Grenzstation auf der Kuhmark zwischen Hachborn und Staufenberg hatten sie wenigsten ein bisschen was verdient. Normalerweise war die Kirmes in Hachborn ja meist kurz nach Pfingsten, aber in diesem Jahr hatte man erst die Ernte abwarten wollen. Die war diesmal sogar recht gut ausgefallen und so sollte Ende September auf dem Dorfplatz unter dem Brunnen gefeiert werden.
„Vodder, machs gut“, sagte Konrad noch zu dem alten Herrn, überlass das Geschäft hier mal dem Hannes. Mir mache uns über den Berg off die Chausee noch Hachborn.
In früheren Jahren waren sie zwar manchmal auch querfeldein von Sichertshausen über Hassenhausen und Erbenhausen gelaufen, aber die beiden Dörfer waren beim großen Regen vor zwei Jahren im Matsch versunken, und auch jetzt gab es noch keinen befestigten Weg. So marschierten sie mit Geige und Sackpfeife, der hessischen Form vom Dudelsack, die Tiefenbach hoch zum Mantzlersche Wald und dann pfeifend immer die Hachborner Straße entlang.
„Komm, Konrod, jetzt hu mer lang genug gepfeffe, jetzt stimme mer mal e Liedche oh“, sagte Adam. „Des mah mer, Adam, owwer nit wirre so ahles Zeug, mal was Modernes“. Er war schließlich auch 14 Jahre jünger wie sein Bruder, aber mittlerweile auch einen Kopf größer. Er stimmt an: Die Gedanken sind frei. Adam: „Owwer nit so laut, und nur hier im Darmstädterische. Da sind se etwas freier. Drüwe bei den Kasseler kriegste Ärger mit dem Gendarm.“
So singen sie:
1. Die Gedanken sind frei,wer kann sie erraten, sie fliehen vorbei wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen, es bleibet dabei: die Gedanken sind frei.
2. Ich denke, was ich will, und was mich beglücket, doch alles in der Still, und wie es sich schicket. Mein Wunsch und Begehren kann niemand verwehren, es bleibet dabei: die Gedanken sind frei.
3. Ich liebe den Wein, mein Mädchen vor allen, sie tut mir allein am besten gefallen. Ich bin nicht alleine bei meinem Glas Weine, mein Mädchen dabei: die Gedanken sind frei.
4. Und sperrt man mich ein im finsteren Kerker, das alles sind rein vergebliche Werke; denn meine Gedanken zerreißen die Schranken und Mauern entzwei: die Gedanken sind frei.
Plötzlich raschelt es im Gebüsch.
„Adam, sei ruhig, da is enner.“ Das Lied verstummt und aus dem Gestrüpp am Wegesrand tritt ihnen ein Mann entgegen, der offensichtlich gerade sein Geschäft gemacht hat. Er tritt auf die beiden zu mit finsterem Blick und stimmt dann die letzte Strophe an:
5. Drum will ich auf immer den Sorgen entsagen und will mich auch nimmer mit Grillen mehr plagen. Man kann ja im Herzen stets lachen und scherzen und denken dabei: die Gedanken sind frei.
Adam: „Das ist ja der Stroaßmüller“. Konrad: „Ei Stroaßmöller, was machst du dann hier?“
Der Straßmüller sagt: „Ei was soll ich schon mache. Ich laufe in der Gegend rum und hu naut se dou. Und an allem ist der Napoleon schuld. Seit der die Breck gebaut hat esses vorbei met der Wirtschaft. Früher sind se alle die Stroß vorm Grundsgrabe ronner und dann bei mir, bei de Stroßmehl ewer die Zwester -Ohm. Sie hu die Gäul bei mir gefüttert und en der Wirtschaft was getronke. Da war der Stroßmöller en reiche Mann, und de Goldmöller dazou… Was meinste, warum die Goldmehl Goldmehl hest? Alles war gout. Und dann kam der Napoleon met seier Breck ewer die Fortbach. Seitdem fehrt ken Mensch mi die Kuhmark nonner. Weil fahrn se alle die Chaussee runter direkt durch Hachborn und lesse de ahle Weg links leihe. Und Getreide moale konnt ich auch net. Es gab ja nix en den arme Joahrn. War ja alles ersoffe.“
Während der Straßmüller noch redet und erzählt, wie er fast direkt am Haus einen Weinberg hatte und die Hauptstraße noch links der Zwester-Ohm an Hachborn vorbei ging und genauso an Ebsdorf und Heskem bis hinauf zu den katholischen Dörfern und Kirchhain, wie man über die Brücke bei Brecke musste um überhaupt nach Hachborn zu kommen, ja wie früher überhaupt alles besser war - währenddessen fegte ein kräftiger Wind über die drei Wanderer.
„Konrod, mach de Motze zou, hei owe fegst.“ „ Ja Adam, hei owe üwer de Kuhmark blässt gewaltig.“
„Wäste was, Stroßmöller, zieh doch im. Wann do onne kenner mie bei dir vorbei kimmt, da machste hei owe was of. Hei owe ziehts, da kannste eh Windmehl baue.  Bringst de Goldmöller gleich met und dann baut ihr hei owe  zwo, drei ower vier Windmehle, und machst noch eh Wirtschaft dazu, und nennst se wie du hest, Wilhelm, Gasstätte zur Wilhelmshöhe.“
Er lacht laut. Der Straßmüller sagt: „Hör auf mich zu verutze. Ich mah mich weil die Kuhmark runter. Ze verzolln hu ich je naut. Ich komme morgen in Hachborn auf die Kirmes. Da sehn wir uns ja.“
Während der Straßmüller nach links auf einen mittlerweile schon ziemlich zugewachsenen Waldweg abbiegt gehen die beiden Brüder auf die Zollstation zu.
Konrad: „Adam, willst du die mal übernehmen?“ Adam: „Ich weiß nicht. Es ist mir zu viel Schmuggel hier in der Gegend. Do drüffe, die Ilschhäuser, dos ist das reinste Schmugglernest. Die Ilschhäuser sei alles Gauner. Selbst de Fortbächer, der es ja eigentlich nicht nötig hat. Sei Frau hat doch vor kurzem Zwillinge gekriegt. Mein Chef war of de Station, do kimt doch der met deene em Handwah, seim Kinnerwah. Mein Chef sagt: `Ei Fortbächer, hast was zu verzollen?´ Der: `Ich habe nur meine Zwillinge dabei. Mit denen will ich mal zu meim Onkel , dem Georg in Staafemoark.´
Eine Woche später, ich saß auf der Station, kommt er wieder mit dem Kinnerwah. `Fortbächer, haste was zu verzolle.´  `Ne, ich habe nur meine Zwillinge dabei.´  Owwer  es kum mer gleich komisch veer. – `Kann ich mir die Junge mal angucke´, sag ich. `Ne, lieber nicht, die schlafen gerade.´ Ich sag: `Ich bin ganz vorsichtig.´ Ne, ne, sagt er, owwer es helft naut. Ich gucke unter die Decke, da liegen doch zwei Butzersche (Ferkel) gut zugedeckt im Kinderwagen und mit ner Schapsfahne. Die haben ja ne Brennerei auf der Fortbach und damit hat er wohl auch die Ferkel ruhig gestellt. Ich denke mir den krieste dro. `Ja tatsächlich´ sag ich, schiene Kinder hast de, ganz de Vodder, die sei dir ja wie aus dem Gesicht geschnitten. Wann du zurück kommst aus Staafemoark guck ich mir die noch mal an.´
Ich hu’s natürlich mein Chef erzohlt. Was blieb dem Forbächer anderes Übrig als mit seinen beiden Ferkel im Kinderwagen wieder zurück zu kommen.“
Während Konrad die Geschichte erzählte kamen sie auf der kleinen Zollstation an. Ein kurzes „Gemorje“ und die übliche Frage. Was zu verzollen? Adam: „Nur unsere Musik, ein paar Geschichte und unsere Gedanken.“
„Macht euch weiter – die Gedanken sind frei.“
Rechts lag jetzt das Hofgut Fortbach und vor ihnen die Napoleonbrücke und dahinter die Straße, die jetzt von hier aus direkt nach Hachborn führte. Zwei Pferdefuhrwerke kamen ihnen entgegen, schwer beladen mit Töpfen und Pfannen und anderen Handelswaren.
„Adam, wenn die jetzt nicht mehr auf der Stroaßmühle Rast und Halt machen. Wo kehren die Kutscher denn dann ein?“
Adam antwortet: „Ja vielleicht irgendwo in Hachborn? Bestimmt irgendwo an de Bach. Die müsse doch die Gäul trenke. Und wo gibt’s Wasser? Na bei der Bach, beim Born.“
Daraufhin Konrad: „Weste woas. Das gucken wir uns mal an. Vielleicht ist das das Richtige für uns. Mir sind doch Spielmänner. Mir mache Musik und dann komme die Leu. Mir mache e Wirtschaft in Hachborn auf: De Spillam en de Spilkonrod.“
Fortsetzung folgt…


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